Dieser Gesetzeskatalog, der umfassend das Wesen des Staates definiert, ist weder mit dem Entwurf der Gironde, noch mit der Verfassung zu vergleichen. Einige seiner Bestimmungen finden sich gleichwohl in der Menschenrechtserklärung und der Verfassungsurkunde von 1793. So etwa Artikel 2 („Die Französische Republik ist einig und unteilbar“), der auf eine Erklärung zurückgeht, die Couthon zu Beginn der Sitzungsdauer des Konvent durchsetzen konnte, und daher wörtlich mit den beiden anderen Entwürfen übereinstimmt. Saint-Just bestimmt darüber hinaus, daß ihre Verfassungsstruktur repräsentativ sei, das die Vertretung der Nation vorwiegend beratend sei und aus dem allgemeinen Willen entspringe, welcher wiederum unteilbar und gemeinschaftlich (aus)gezählt sei (recensée en commun). Diese enge Verknüpfung der Volksvertretung mit dem Rousseauschen ‚allgemeinen Willen‘ ist eine Besonderheit. Die Verfassung verzichtet auf derart ideologische Termini, beschreibt die Volkssouveränität allein von ihrer praktischen Seite und erklärt, im Gegensatz zu Saint-Just, in der Menschenrechtserklärung das Gesetz als die „freie und feierliche Ankündigung des allgemeinen Willens“. Saint-Just verpflichtet demnach die Volksvertreter explizit dem Wohl des ganzen Volkes (nicht dem Willen ihrer Wähler) und sieht die Nationalversammlung viel strenger als eine Versammlung, die repräsentativ für alle Franzosen über das Wohl des Volkes beratschlagt.
Ladan Bouroumand sieht in den Divergenzen bezüglich des Sinngehalts des „allgemeinen Willens“, der Definition von ‚Gesetz‘ und des Wahlmodus einen ideologischen Konflikt zwischen Gironde und Montagne. Für die Girondisten, schreibt er, sind dies nur drei Teilbereiche ein und derselben Sache. Ein Gesetz kann nur sein, was durch Abstimmung der einzelnen Wählerversammlungen beschlossen wird und damit den allgemeinen Willen wiedergibt. Darüber hinaus aber muß der Mehrheitsbeschluß, der allgemeine Wille, vor den Rechten des Einzelnen halt machen. Die Montagne hingegen möchte, so Boroumand, die Bürger in der Ausübung ihrer politischen Rechte dem Gesetz, das heißt den Prinzipien der Gesellschaft, unterwerfen. Für sie gebe es außerdem Momente, in denen das Gesetz und der allgemeine Wille nicht übereinstimmen. So bliebe sie ihrer politischen Konzeption durchaus treu, wenn sie sich gegenüber dem Willen der Mehrheit des Konvents auf den Vorrang der Minderheit berufen, sobald diese sich prinzipientreu verhält. Hier stellt sich wieder die Frage, ob man der Montagne eine stringent verfolgte Ideologie unterstellen kann. Am 9. Termidor haben Robespierre und seine Freunde endlos gezögert, die Kommune gegen den Konvent marschieren zu lassen und als Couthon vorschlug, die Armee zu rufen, wußte Robespierre nicht, in welchem Namen er einen solchen Aufruf unterzeichnen könnte. Saint-Just nahm in seiner Rede vom 24. April auf den „Allgemeinen Willen“ bezug. Er warf gerade dem Verfassungsentwurf der Gironde vor, den Allgemeinen Willen als „graue Theorie“ zu sehen und nicht als „Interesse des Sozialkörpers“. Er warnte, daß ein rein interlektuelles Konzept des Allgemeinen Willens die Freiheit zu einem Gedankenspiel mache, das mit der Wirklichkeit nichts mehr gemein habe. Er forderte, den Allgemeinen Willen auf seine Grundlage zurückzuholen, die er in dem ‚materiellen‘ ’simultanen‘ Willen sehe, dessen Ziel es sei, das ‚aktive Interesse der Mehrheit‘ zu bestätigen, und nicht ihr ‚passives Interesse‘. Er kritisierte das umständliche, zweistufige Wahlverfahren der Volksvertreter und bezog sich vermutlich auch auf das noch umständlichere Verfahren der „censure du peuple“, das, vom einzelnen Bürger ausgehend, sehr demokratisch, aber auch sehr zeitraubend, mehrere Entwicklungsstufen einer Meinungsbildung durchläuft. Tatsächlich ist das Referendum der Montagnard-Verfassung eine ’simultane‘ Abstimmung des Volkes. Mathieu erklärt es dem Konvent folgendermaßen: Die Verfassungskomission habe die stillschweigende und die ausdrückliche Form der Sanktion von Gesetzen unterscheiden und gleichzeitig beide behalten wollen. So sei die stillschweigende Sanktion in der öffentlichen Meinung und dem Stillschweigen der Urversammlung verwirklicht, während die ausdrückliche Sanktion durch die spontane Versammlung von 10 Urversammlungen in 10 Départementen zur Reklamation gewährleistet sei, was die Einberufung aller Urversammlungen zur Folge hätte. Ziel sei es gerade, die Bürger nicht durch ständige Versammlungen zu ermüden. Hier wird also die Reklamation von Gesetzen als Protestbewegung verstanden, in der die revolutionäre Tradition des Volksaufstandes in einem verfassungsmäßigen Prozedere fortgeführt wird. Vielleicht liegt der Konflikt zwischen Gironde und Montagne bezüglich des Allgemeinen Willens darin, daß die Gironde in ihm den Willen sah, der sich im gesellschaftlichen Diskurs bildet und die Montagne den Willen der schon da ist und sich spontan Luft macht. Vielleicht lebten die Montagnard einfach intensiver im revolutionären Umbruch als die Girondisten.
Für Boroumand vertreten die beiden Parteien auch unterschiedliche Konzeptionen des repräsentativen Systems. Die Gironde sehe im repräsentativen System die logische Folge des natürlichen Rechts des Einzelnen, an der Erstellung von Gesetzen mitzuwirken. Da die äußeren Umstände, wie die geographische Beschaffenheit des Landes, eine direkte Beteiligung aller Bürger an der Gesetzesfindung verhindern, sei das repräsentative System die logische Alternative. Eine Säuberungsaktion innerhalb des Konvents, zum Beispiel, sei für die Gironde ein direkter Anschlag auf die Rechte des Bürgers. Sie schlügen hingegen das Referendum, die Anrufung des Volkes, respektive der Urwählerversammlungen, vor, um den Bürgern die Möglichkeit zu geben, den von ihnen gewählten Repräsentanten das Vertrauen auszusprechen oder zu entziehen. Boroumand beruft sich hier auf Eingaben Buzots und Gersonnés am 13. April 1793. Die Montagne bestehe hingegen auf einem reinen repräsentativen System ohne Referendum. Für sie führe das System, das Condorcet vorschlug nur zu einem „Abgeordnetenkongreß“. Dies ist, denke ich, eine etwas zu positive Sichtweise der Ziele der Gironde. Im Verfassungsentwurf Condorcets, der schon seit Februar vorlag, ist die „censure du peuple“ nur für Gesetze vorgesehen; nicht als Referendum über Abgeordnete. Gerade dieses Referendum über Abgeordete aber findet sich in Saint-Justs Entwurf, der 11 Tage nach den Interventionen Buzots und Gersonnés vorgestellt wurde. Damit wäre Saint-Just ein sehr gehorsamer Schüler der Gironde. Wenn aber das Referendum über Abgeordnete im Entwurf Condorcets nicht vorkommt, dann ist nicht klar, warum die Kritik des Condorcet’schen Konzepts als „Abgeordetenkongreß“ eine Ideologie des rein repräsentativen Systems bei der Montagne begründen sollte. Saint-Just nannte in seiner Rede am 24. April die Legislative in girondistischen Entwurf einen „Kongreß“. Er begründete dies tatsächlich damit, daß sie aufgrund des Wahlverfahrens nur eine Repräsentation der Departemente, also föderativ sein könne. Zum Problem des Referendums äußerte er sich in diesem Zusammenhang jedoch nicht. Wohl aber sagte er, eine föderativ gewählte Legislative könne nicht stellvertretend für das Volk Gesetze verabschieden, denn das Gesetz sei Ausdruck des Allgemeinen Willens, nicht eines Teils der Bevölkerung, und die, die es schaffen, können somit auch nur Ausdruck des Allgemeinen Willens sein – und nicht Ergebnis einer Zusammenstellung von Kommunalvertretern. Boroumand zitiert nur den Artikel 1 des Verfassungsentwurfs Saint-Justs, schreibt, daß man den Artikel, „wie immer bei Montagnard-Texten“, interpretieren müsse und schlußfolgert dann aus der Ansicht Saint-Justs, der Allgemeine Wille entstamme nicht dem Votum der Parteien („vœ séparé des parties“), daß für ihn der Allgemeine Wille vom Willen der Bürger gelöst sei. Das ist, wie oben gesehen, genau das, was Saint-Just Condorcet vorwirft. Ein Beweis dafür, daß Saint-Just ein rein repräsentatives System angestrebt habe, ist der Artikel zudem nicht und die Artikel 3 und 7-18 des 14. Kapitels in Saint-Justs Entwurf sprechen dagegen.
Die Frage ist, warum die Gesetzesfindung im Artikel 1 nicht genannt wird. In seiner Rede sprach sich Saint-Just dafür aus, die Verfassung gegen die Macht und die Korruption zu stärken und sie dauerhaft zu konzipieren. Er war dagegen, eine Verfassung in der aktuellen Situation Frankreichs zu modifizierbar zu konstruieren, da Ursupatoren jederzeit auftreten könnten. Verfassungsgesetze sind für ihn offensichtlich kein durch Volksvertretungen wandelbares Gut und selbst bei der untergeordneten Gesetzgebung scheint er ähnliche Hemmungen gehabt zu haben. So auch in Artikel 4: „Das Französische Volk wird von einer Nationalversammlung repräsentiert, die die Gesetze macht.“ Die Betonung liegt hier eindeutig auf der ‚volksvertretenden‘ Funktion der Legislative, ihre gesetzgeberische Funktion scheint nur ‚angehängt‘, das Gesetz selbst nur ein Produkt der Beratung (und daß es Saint-Just um die „Beratung“ geht, macht er schon in Artikel 1 Satz 3 deutlich). Zwar ist sie die einzige Grundlage legitimer Gewalt (siehe „Dispositions“), aber nicht durch den allgemeinen Willen geheiligt. Es wirft ein befremdliches Licht auf Saint-Justs Vorstellungen von den Aufgaben einer gesetzgebenden Versammlung, daß er ihre Hauptaufgabe im Reden sieht. Es wird sich zeigen, daß diese Abwertung des wichtigsten Machtmittels der Legislative auch durch inhaltliche Besonderheiten des Verfassungsentwurfs bestätigt wird.
Wie oben gesehen, steht Saint-Just zu beiden Prämissen: Sowohl das Gesetz, als auch die Legislative sollen nach seiner Ansicht aus dem Allgemeinen Willen hervorgehen. Wenn er in seinem Verfassungsentwurf nur von der Volksvertretung spricht und sich zur Legitimation von Gesetzen offensichtlich nur zögernd äußert, so deutet das auf ein starkes Mißtrauen gegenüber dem Selbstverständnis von Abgeordneten hin. Die Gesetzesfindung bei Saint-Just ist ein Thema, das im Kapitel über die legislative Gewalt noch einmal ausführlich behandelt werden wird.