Ich werde hier mehrere Kapitel zusammenfassen, die sich alle direkt oder indirekt mit der gesetzgebenden Körperschaft befassen. Wie auch in der Verfassung schreibt Saint-Just ein direktes Wahlverfahren zur Bestimmung der Abgeordneten vor. Damit wendet er sich explizit gegen den Entwurf Condorcets, der bekanntlich ein zweistufiges Wahlverfahren mit der Formierung einer Kandidatenliste und der Auswahl eines Kandidaten im zweiten Wahlgang. Wie auch die Einteilung Frankreichs zeugt das von Condorcet vorgesehene Wahlverfahren angeblich von der Furcht vor dem, was man im 19. Jahrhundert das ’städtische Proletariat‘ taufen wird. So ist für Mathiez offensichtlich, worauf dieses komplizierte System abzielt: Da die erste der beiden vorgesehenen Wahllisten signiert werden soll, könne die lokale Aristokratie das Wahlverhalten der Menschen im Wahlbezirk kontrollieren. Diese „Vorstellungsliste“ enthält nur Namen aus ihren Reihen, unter denen der Bürger zu wählen hat.
Der Montagne erschien dieses System nicht nur langsam und umständlich, sondern auch in allen Punkten dazu angetan, die girondistischen Kandidaten in allen wichtigen lokalen und nationalen Positionen an der Macht zu halten. Diese wurden von den Besitzenden unterstützt und verfügten über mehrere Zeitungen. Nur begüterte Wähler können es sich aber leisten, ihre Zeit mit Abstimmungen zu verbringen. So formulierte es Robert am 26. April: „Wenn ihr diese häufigen Versammlungen beschließt, wird der weniger begüterte Teil des Volkes keine Gelegenheit haben an ihnen Teilzunehmen und, wenn er nicht hingeht, ist sein Recht an der Souveränität Teilzuhaben eine Illusion, die begüterte und die sehr reiche Klasse werden die obersten Herren der (Wähler)Versammlungen und, durch einen Exzeß von falsch verstandener Demokratie wird sich eine fürchterliche Form von Aristokratie bilden, die fast absolute Aristokratie der Reichen.“ Und Robespierre forderte vergeblich, daß die Armen für die Zeit, die sie mit Wahlen vertun, wenigstens entschädigt werden.
Saint-Just und die Verfassung setzen schlicht den Kandidaten mit den meisten Stimmen als Gewählten ein. So werden in der Verfassung die Volksvertreter mit absoluter Mehrheit einer direkten Einzelwahl für ein Jahr gewählt. Kann im ersten Wahlgang keine absolute Mehrheit ermittelt werden, folgt eine Stichwahl zwischen den beiden Kandidaten, die die meisten Stimmen auf sich vereinen können. Stellvertreter, wie in der alten Verfassung, gibt es nun nicht mehr. Wird ein Sitz frei, muß neu gewählt werden. Damit verhindert man, daß sich eine Gegen-Versammlung der Stellvertreter bildet.
Curtis betont, daß der Vorsatz, territoriale Schranken einzureißen und die Nationalversammlung zu einem Ausdruck nationaler Einheit anstatt territorialer Besonderheiten zu machen, sowohl den Wortmeldungen Saint-Justs in der Verfassungsdebatte als auch der Rede Héraults vom 10. Juni anläßlich der Präsentation des Entwurfs des Verfassungsausschussens eigen sei. Er ist der Überzeugung, daß Saint-Just, für den die Repräsentationsfrage geradezu ein „Hobby“ sei, hier maßgeblichen Einfluß gehabt habe. Bekanntlich vertrat Saint-Just die Ansicht, daß so die Legislative gestärkt würde, da er andersherum argumentierte, das im girondistischen Entwurf vorgesehene Wahlverfahren der Exekutive würde zu einer „Herrschaft der Minister“ führen. M. Troper hält diese Argumentation für polemisch und wenn man genau ist, bleibt es schwierig sich vorzustellen, welcher Vorteil in einem direkten Wahlverfahren für Abgeordnete liegt. Zwar ist es einleuchtend, daß das aufwendige und zeitraubende zweistufige Wahlverfahren Condorcets den ärmeren, ungebildeten Teil der Bevölkerung massiv behindert, aber auch das von Saint-Just vorgeschlagene System birgt Gefahren: Die absolute Anzahl der Stimmen, mit der eine Person gewählt wird, ist beim relativen Mehrheitswahlrecht sehr gering und der ‚Stimmenverlust‘ durch Wähler, die für eine unbegrenzte Zahl chancenloser Kandidaten votiert haben (es gibt ja keine Kandidatenliste, jeder schreibt irgendeinen Namen auf, egal, ob der Betreffende überhaupt Chancen hat oder bereit ist, das Amt zu übernehmen) ist erheblich, wie Malcolm Crook in seinem Aufsatz „Le candidat imaginaire…“, der sich eng an Forschungsergebnisse von P. Gueniffey anlehnt, für die Jahre 1790 und 1791 nachweist. Crook beschreibt, daß die Größe der neugeschaffenen Wahlbezirke dazu führt, daß die Wähler sich untereinander nicht kennen und demnach auch nicht wissen, wen sie zur Wahl vorschlagen sollen. So kommt es häufiger vor, daß jemand nur mit einer Handvoll Stimmen gewählt wird. Die Gefahr, daß sich einflußreiche Personen durch ihre Klientel in die Nationalversammlung hiefen lassen, kann also auch hier nicht unterschätzt werden. Auch Hampson sieht die Gefahr, daß durch dieses Wahlsystem alle lokalen Kandidaten leer ausgehen und eine politische Klasse bestehend aus ehemaligen Abgeordneten, Journalisten und überregional bekannten Personen entstehe. Er unterstellt Saint-Just hier konkrete Absichten. Troper geht noch weiter, indem er mutmaßt, Saint-Just habe die Absicht gehabt, durch dieses, eine überregionale Organisation begünstigende Wahlverfahren, den Jakobinern die Kontrolle der Nationalversammlung zu ermöglichen. Wie auch immer, kann gegen diese Risiken auch die von Saint-Just (im Gegensatz zu Entwurf und Verfassung) vorgeschriebene offene Stimmabgabe nicht helfen und daß er, ebenfalls als Einziger, rigide Strafen für ‚Wahlmuffel‘ vorschreibt, geht am Problem vorbei. Letztendlich geht es bei der Frage des Wahlsystems nicht um die bessere oder schlechtere Idee, sondern nur darum, die eigene Klientel zu begünstigen. Und Saint-Justs Entwurf begünstigt die Jakobiner und damit die Montagne direkter als der Text der Verfassung.
Im Gegensatz zu Entwurf und Verfassung gesteht Saint-Just den Wahlversammlungen keine eigenen Polizei zu. Klagen müssen vor den zuständigen Richter gebracht werden. Dieser Vorbehalt gegen eine ‚Hausmacht‘ von Versammlungen wiederholt sich bei der Nationalversammlung.
Auch in der Forderung nach öffentlicher Stimmabgabe in den Urversammlungen unterscheidet sein Entwurf sich vom Verfassungstext. Im ersten Entwurf schrieb die Verfassung eine schriftliche Stimmabgabe mit signiertem Stimmzettel vor. Thuriot und Danton beantragten die öffentliche Stimmabgabe anstelle der im Entwurf vorgesehenen geheimen. Barère widersprach dem Einwand Durocs, der bei öffentlicher Stimmabgabe einen zu großen Einfluß der Reichen und Arbeitgeber befürchtet und erklärte, „Ich bemerke, daß die geheime Wahl den schwachen oder bestochenen Menschen die Möglichkeit gäbe, häufig schlechte Stimmzettel abzugeben. Außerdem darf man den guten Bürgern nicht das Recht nehmen, sich öffentlich zu zeigen.“ Der Konvent entschied sich dafür, den Bürgern selbst die Wahl zu lassen, wie sie ihre Stimme abzugeben wünschen und setzte hinzu: „Auf keinen Fall darf eine Urversammlung eine einzige Art der Stimmabgabe vorschreiben.“
Saint-Just möchte die Zahl der Wähler pro Urversammlung nicht begrenzt haben. Allein die Größe der Kommunen ist, wie oben beschrieben, definiert. Dagegen schreibt er die Zahl der Abgeordneten der Nationalversammlung vor und favorisiert eine recht kleine Versammlung von 341 Mitgliedern. Der Entwurf Condorcets hatte die Größe der Legislative von der Bevölkerungszahl abhängig gemacht und eigene Paragraphen eingeführt, die die Festsetzung der Abgeordnetenzahl regeln. Auch die Verfassung setzt die Zahl der Abgeordeten in ein Verhältnis zur Wählerzahl, was zu einer etwa doppelt so großen Versammlung wie der von Saint-Just vorgesehenen geführt hätte. Warum Saint-Just hier ganz anders denkt, kann nur vermutet werden. Vielleicht fürchtete er, die Nationalversammlung könne mit der Zeit und dem Bevölkerungswachstum zu einem handlungsunfähigen Monstrum ausarten. Vielleicht war er auch, wie Ducos der Ansicht, eine große Zahl von Abgeordneten beinhalte auch immer eine Menge „unnützer“ Männer. Dufriche-Valazé befaßte sich in seinem Bericht vom 6. Mai vor dem Konvent eingehend mit der Stimmabgabe bei Saint-Just; bemängelte, daß auf diese Weise eine einfache Mehrheit zur Nomierung genüge und rechnete zudem vor, daß bei einer von Saint-Just vorgeschlagenen Größe der Nationalversammlung von 341 Abgeordneten und einer landesweiten Wahl 5000 Stimmen zur einfachen Mehrheit genügen und so allein Paris ein Zehntel der Abgeordneten bestimmen könne.
Der Artikel 14 des fünften Kapitels in Saint-Justs Verfassungsentwurf findet sich in der Verfassung wieder. Er bestimmt, daß bei Stimmengleichheit der Ältere vorgezogen wird (wobei die Verfassung mit einem Hang zum Absurden zusätzlich vorschreibt, daß bei Altersgleichheit (!) das Los entscheidet). Der Entwurf Condorcets löst das Problem durch hinzuzählen der Stimmen aus dem ersten Wahlgang.
Entgegen Entwurf und Verfassung schreibt Saint-Just außerdem eine Legislaturperiode von zwei Jahren vor. Hier könnte man ihm die Einsicht unterstellen, daß es Gesetzesvorhaben gibt, die sich in einem einzigen Jahr nicht realisieren lassen und tatsächlich ist es einleuchtend, daß eine kleine Versammlung, die zwei Jahre Zeit hat, Kooperation zu üben, effektiver ist als eine große, die nach einem Jahr schon wieder auseinandergeht. Der Umstand, daß er für den Vollzugsrat eine Amtszeit von drei Jahren vorsieht, läßt jedoch eher darauf schließen, daß er der Ansicht war, jährliche Wahlen würden zu viel Unruhe in das System bringen. In der Verfassungskomission jedenfalls konnte er sich offensichtlich nicht durchsetzen. Auch seine Ansicht, frischgewählte Abgeordnete bräuchten allenfalls zwei Wochen, um sich in der Hauptstadt einzufinden (Wahl zwischen dem 1. und dem 4. Mai, Beginn der Legislaturperiode am 20. Mai) fand scheinbar keine Anhänger. Wie schon bei Condorcet beginnt die Legislatur in der Verfassung Anfang Juli. Im Gegensatz zur Verfassung dürfen die Abgeordneten während zweier Legislaturperioden nicht wählen, keine zivilen oder militärischen Funktionen ausüben, nicht Schlichter und nicht Geschworener sein. Sie dürfen sich auch erst nach zwei Jahren, also für die übernächste Legislatur, wiederwählen lassen. Dies erinnert an die bekannte Forderung Robespierres, Mitglieder der Konstituante solle es verboten sein, sich für die Legislative aufstellen zu lassen. Man könnte vermuten, daß Saint-Just von diesem Vorbild stark beeindruckt war und die Idee, als Remineszenz an seinen Kollegen, nicht nur hier, sondern auch in Bezug auf das Exekutionskomittee übernommen hat. Allerdings zeigt allein die Durchsicht der übrigen, am 24. April eingereichten Verfassungsprojekte, daß er nicht der einzige ist, der diese Vorstellung vertrat. Und auch Poullain-Grandprey schlug mit dem Argument, daß die Abgeordneten zu einer eigenen Kaste geraten und sich über Legislaturen hinweg in unnützen persönlichen Streitigkeiten verfangen, wenn sie immer wiedergewählt werden, in der Verfassungsdiskussion vor, die Abgeordneten eine Legislatur aussetzen zu lassen – was von Thuriot heftig bekämpft wurde.
Die Grundsatzbestimmung des Wesens der Nationalversammlung macht, nebenbei bemerkt, eine historisch interessante Entwicklung durch: Während sie bei Condorcet noch „einig“ war, beschreibt Saint-Just sie als „einig und unteilbar“ und im Verfassungstext ist sie „Einig, unteilbar und immerwährend“. Das Wort „unteilbar“ ist sicherlich eine Antwort auf den fehlgeschlagenen Versuch Condorcets, durch nachträglich eingefügte Artikel die Nationalversammlung bei Beratung und Verabschiedung von Gesetzen in zwei Sektionen zu teilen. Wer das Wort „immerwährend“ hinzufügte bleibt unklar.
Saint-Just verbietet in Artikel 12 des sechsten Kapitels die Bildung von Komitees, was sich in der Verfassung wiederfindet. Dies ist ziemlich offensichtlich eine Antwort auf den Versuch Condorcets, ein „Büro“ zu institutionalisieren, daß über zugelassene Gesetzesvorschläge referiert und das Recht hat, einen neuen Vorschlag zu unterbreiten. Landret schreibt, daß er hier darüber hinaus auch die Praktiken der Konstituante verurteile, die neben der Zwölferkommission noch bis zu vierzig Komitees unterhalten habe sowie die der Legislative und des Konvents, mit ihrem „Comité de surveillance“ und vierundzwanzig Kommissionen.
Dafür schreibt Saint-Just kaum etwas über den Verlauf der Debatten. Weder fordert er die Schriftlegung der Sitzungsprotokolle, noch eine Mindestzahl von Abgeordneten um beschlußfähig zu sein. Er bestimmt nur, daß Abstimmungen mündlich vorgenommen werden, während die Verfassung zunächst Stimmen durch Aufstehen und Sitzenbleiben zählen will, was jedoch in der Verfassungsdiskussion gestrichen wird. Übrig bleibt nur, daß man einer Gruppe von mindestens fünfzig Abgeordneten das Recht zubilligt, eine mündliche Abstimmung zu fordern. Obwohl Saint-Just selbst eine andere Form der Stimmabgabe vorgesehen hatte, ist der entsprechende Artikel im ersten Entwurf des Verfassungstextes doch durchaus in seinem Sinne, da auch durch das Aufstehen Transparenz des Abstimmungsverhaltens und Kürze des Auszählungsprozess gewährleistet sind. Daß zuletzt nur die Option einer mündlichen Stimmabgabe auf Wunsch übrig bleibt, ist nur ein geringer Rückschlag, da fünfzig Abgeordnete mit gleichen Interessen sich in einer derart großen Versammlung sicher leicht finden ließen. Anders verhält es sich mit einem Artikel Saint-Justs, indem er eine dreimalige Lesung von Gesetzesinitiativen der Legislative vorschreibt, bevor sie ausgeführt werden dürfen. Dieser Artikel findet sich im Verfassungstext nicht wieder. Dafür läßt die Verfassung die Diskussion erst 14 Tage nach der Einbringung eines Gesetzesvorschlags beginnen.
Das Aufsichtsrecht der Nationalversammlung über das Betragen ihrer Mitglieder ist in Saint-Justs Entwurf und der Verfassung identisch formuliert. Saint-Just gesteht der Versammlung jedoch zusätzlich das Recht zu, ihre Mitglieder anzuklagen und die Anklagen Dritter an einen Gerichtshof weiterzuleiten. In der Verfassung können hingegen Abgeordnete, die in flagranti erwischt werden, nur mit Einwilligung der Nationalversammlung verhaftet werden. Im Gegensatz zur Verfassung gesteht Saint-Just der Versammlung, wie schon der Wahlversammlung, keinen eigene Polizei zu.
Die Aufgaben der Nationalversammlung sind ein bemerkenswertes Thema, das detaillierter behandelt werden sollte:
Gleich der erste Artikel in Saint-Justs Entwurf sagt eine Menge aus: „Die Nationalversammlung ratifiziert Kriegserklärungen, sie ratifiziert Verträge, sie ratifiziert die Wahl der Botschafter.“ Eine Unterscheidung in Gesetz und Dekret sucht man vergeblich, das Wort „Dekret“ taucht überhaupt nicht auf und „Gesetze“ werden nur im Zusammenhang mit einem Verbot, sie durch Verträge zu ändern, genannt. Der oben genannte Artikel 4 des ersten Kapitels ist die einzige Stelle, wo erwähnt wird, daß es sich bei der Nationalversammlung um eine Legislative handelt.
Der Katalog der Befugnisse, die Saint-Just der Nationalversammlung nicht zugesteht, ist lang, aber zunächst die Liste der Aspekte, die sich sowohl in der Verfassung, als auch in seinem Entwurf finden lassen:
Zu den in der Verfassung als Gesetz aufgeführten Befugnissen der Versammlung gehören etwa: Die Münze, Steuern, Nationalgüterverwaltung, staatliche Ehrungen, Kriegserklärungen ratifizieren.
Die von Saint-Just ebenfalls genannten und als Dekrete aufgeführten Aspekte sind: Entlassung der Streitkräfte (Truppenaushebungen fallen in den Bereich der Exekutive), das Recht die Exekutive zur Rechenschaft zu ziehen, Vertragsratifizierungen, Kommandantenbenennungen und -Absetzungen, Gewährung des Durchzugs fremder Truppen durch das Staatsgebiet, nationale Entschädigungen.
Saint-Just weist ihr zusätzlich das Recht zu: Kommandanten anzuklagen, die Botschafterwahl zu ratifizieren, Triumphzüge des Heeres zu erlassen, Minister anzuklagen, Verwaltungsbeamte anzuklagen, Pensionen zu erlassen. Sie darf auf keinen Fall: durch Vertrag die Gesetze der Republik ändern, einen Gebietsteil abtreten, die Republik tributpflichtig machen, jemanden ausliefern (Art. 4).
Dafür erwähnt er nicht: die bürgerliche und die Strafgesetzgebung (!), Maßnahmen zur allgemeinen Sicherheit, Anklage gegen Landesverräter, respektive Staatsfeinde, die Einnahmen und Ausgaben des Staatshaushalts, die Änderung der Gebietsaufteilung, besondere, lokal gültige Anweisungen an Behörden, das Schulwesen und unvorhergesehene Ausgaben. Fast unnötig zu erwähnen, daß die Gesetzesformierung bei Saint-Just auch nicht geregelt wird.
Das Demokratieverständnis des 18. Jahrhundert unterscheidet sich grundlegend von heutigen, durch Parteienstrukturen geprägten. Ein ausgeprägtes Mißtrauen gegenüber den Staatsgewalten war allen Abgeordneten des Konvents eigen; je größer die Macht, um so wichtiger war es, sie unter verschiedenen Institutionen zu verteilen und kontrollieren zu lassen. Jeder der drei in diesem Zusammenhang behandelten Entwürfe baut Kontrollmechanismen ein, um die legislative Gewalt ‚an die Kette zu legen‘. Aber Saint-Just vertrat selbst hier noch spezielle Ansichten. Es fällt schwer zu glauben, daß er die Kodifizierung eines bürgerlichen-und eines Starfgesetzbuches in der Liste der Aufgaben der Legislative schlicht ‚vergaß‘, zumal der Artikel 6 des Abschnitts „Allgemeine Artikel“ seltsam unbestimmt lautet: „Ein Gesetzbuch mit zivilen- und Strafrechtsgesetzen wird erstellt.“
In diesem Zusammenhang ist das vierzehnte Kapitel von Bedeutung, in dem er von den Gesetzessanktionen, den Kommunen und den Nartionalkonventen schreibt: Saint-Just unterwirft die Verfassung und jede Verfassungsänderung der Zustimmung des Volkes und schreibt: „Der Ursprung („le principe“) jeder Verfassungsänderung liegt in den Kommunen“. Aber auch Dekrete und „Veränderungen“ werden, laut Artikel drei der Zustimmung des Volkes unterworfen. Ebenso weist er den Kommunen, anders als Condorcet oder die Verfassung, das Recht zu, Abgeordnete oder Mitglieder des Exekutivrats, die „die Nation verraten haben und sein Vertrauen verloren haben“ durch eine Abstimmung der Kommunen vor Gericht zu stellen. Er will also nicht nur jedes Verfassungsgesetz sondern auch jedes Dekret (auch ‚Veränderungen‘ – der Zusammensetzung der Legislative? – Gesetzesänderungen?) und die Volksvertreter selbst der Zustimmung des Volkes unterwerfen. Dieses „Veto des Volkes“, das in etwa auch Condorcet und die Verfassung für Gesetze kennen, ist also einerseits weitreichender (weil er auch Legislative und Exekutive dieser Sanktion unterwirft) und andererseits vager (weil er nicht explizit von der Sanktion von Gesetzen spricht). Saint-Justs Konzept des Veto ähnelt insgesamt eher dem des ersten Verfassungsentwurfs als dem der Verfassung, das nur ein ‚Nichtannehmen‘ von Gesetzesinitiativen der Legislative zulässt und sich über bestehendes Recht ausschweigt, während Saint-Just, wie Condorcet, den Bürgern auch das Recht zubilligen, bestehende Kodifikationen anzugreifen. Das Problem des Referendums in der Verfassung von 1793 hatte ich schon im Zusammenhang mit dem Allgemeinen Willen behandelt.
Zu dem von Saint-Just propagierten Recht, Volksvertreter und Mitglieder der Exekutive zu rügen und anzuklagen, findet sich eine interessante Parallele in einem Block von Zusatzartikeln, die Hérault in der letzten Diskussion über die Verfassung einbrachte. Er begründete diese nachträglich geschaffenen Artikel mit der Streichung der „Juré national“ aus der Verfassung, auf die ich weiter unten noch zu sprechen kommen werde. Der Wegfall dieses Geschworenengerichts habe eine gesetzgeberische Lücke hinterlassen, da nun dem Bürger ein Mittel fehle, sich gegen eine Unterdrückung durch die Legislative zu wehren. Da man es nicht auf Aufstände des Volkes ankommen lassen wolle (!), schlug Hérault im Namen der Kommission eine „Zensur des Volkes gegen seine Abgeordneten und …. seine Garantie gegen die Unterdrückung der Legislative.“ vor. Diese fünf Artikel gleichen in ihrem Wortlaut denen der „Juré“ und bestimmen, daß jeder Abgeordnete am Ende der Legislatur durch die Urversammlungen, die ihn gewählt haben, beurteilt wird und nur wiedergewählt werden kann, wenn diese sich mit ihm zufrieden erklärt haben. Sanktionen für gerügte Abgeordnete sieht dieser Gesetzentwurf allerdings nicht vor. Diese eigentlich beeindruckend demokratischen Artikel wurden mit den Argumenten einer Aushöhlung des Prinzips, daß jeder Abgeordnete der gesamten Nation angehöre sowie einer Gefährdung des Staates durch eine Überbetonung der Macht der Kommunen bekämpft und nur von Dartigoeyte und Guyomar verteidigt. Sofort mischte sich Couthon ein und forderte selbst, die Artikel fallen zu lassen. Hérault schloß sich dem unverzüglich an. Für dieses Verhalten wären zwei Erklärungen möglich: entweder die beiden waren von Anfang an davon überzeugt, daß diese Artikel nicht dekretiert werden würden und wollten die Diskussion schnell abbrechen, bevor sie peinlich werden konnte, oder sie hatten mit ihrer Formulierung nichts zu tun und standen ihnen sowieso skeptisch gegenüber, weshalb sie dankbar die Gelegenheit aufgriffen, die Gesetzesinitiative zu begraben (das ist zumindest für Hérault wahrscheinlich, denn schon bei der Diskussion um das „Juré national“ gab er zu, daß er selbst diese Institution als „die Mitglieder der Legislative beängstigend“ ansehe). Wer käme dann als ‚Erfinder‘ in Frage? Ramel de Nogaret bezeichnete zwar das „grand juré national“ als das „Palladium der Freiheit“, aber schon in der Diskussion um das Verhältnis von Wählerzahl und gewähltem Abgeordneten zeigte er sich als entschiedener Gegner jedes Föderalismus und scheint kaum der Mann, der den Einfluß von Urversammlungen in so drastischer Form stärken möchte. Bleiben nur Mathieu und Saint-Just. Für Saint-Just würde sprechen, daß er etwas ähnliches in seinem Verfassungsentwurf vorgestellt hat. Allerdings ist bei ihm, wie beschrieben, das Veto jederzeit möglich, nicht auf die Urversammlungen beschränkt, die den entsprechenden Abgeordneten gewählt haben, und das Veto kann zu einer Strafverfolgung führen. Man kann also nicht nachweisen, daß Saint-Just hinter diesem Entwurf steckte, der letztendlich sowieso schnell begraben wurde. Eine Rüge gegen Personen wurde nicht dekretiert, es bleibt nur das Veto gegen Gesetze. Das Gesetz wird provisorisch beschlossen, der Entwurf an die Gemeinden verschickt und das Volk hat 40 Tage Zeit, in über der Hälfte der Départemente ein Zehntel aller ihrer regelmäßig gebildeten Urversammlungen zum Reklamieren zu bewegen (Art.59). Angesichts der Kommunikationsmöglichkeiten und politischen Aufklärung des 18. Jahrhunderts hätte allenfalls der Jakobinerklub Chancen gehabt, ein solches Gesetz zu kippen. Ich habe schon angedeutet, daß ‚Meinungsbildung‘ im heutigen Sinne vielleicht gar nicht intendiert war. Daß das Referendum die Gefahr einer Dominierung der öffentlichen Meinung durch eine Organisation in sich birgt, läßt sich jedoch nicht bestreiten. Nichtorganisierter Widerstand wäre vom Zufall abhängig gewesen. Auch Jean Jaurès kritisiert das Referendum in der Verfassung von 1793. Er bemerkt zunächst, daß es nirgendwo organisiert und geplant sei, stellt dann jedoch die Frage, ob die jährliche Wahl der Legislative nicht ein permanentes Referendum bedeute. Jaurès schlußfolgert daraus, daß die Montagne dem demokratischen Schwung „mehr Nachdruck, mehr Energie“ verliehen habe. Man könnte hier jedoch auch eine der Demokratie abträgliche Unruhe erkennen, die für eine friedliche Gesellschaft nicht zu passen scheint. Während ein funktionierendes Referendum die Kritik auf konkrete Gesetze oder konkrete Personen bündelt, tradiert eine jährliche Neuwahl als Referendumsersatz nur das Machtmittel des Umsturz.
Um im Falle eines Dissens zwischen dem Willen der Kommunen und dem der Nationalversammlung zu vermitteln oder dem Wunsch der Mehrheit der Kommunen nach „einer Veränderung“ zu entsprechen, setzt Saint-Just, wie auch Condorcet und die Verfassung, die Institution der Nationalkonvente ein. Der Unterschied besteht darin, daß in der Verfassung Nationalkonvente nur zur Revision der Verfassungsurkunde oder einiger ihrer Artikel zusammengerufen werden. Saint-Just unterwirft Verfassungsänderungen, wie oben gesehen, explizit dem Willen der Kommunen und spricht von Konventen nur im Zusammenhang mit Dekreten und den ‚Veränderungen‘, wobei unklar bleibt, ob Verfassungsänderungen dem gleichen Prozedere unterworfen sind. Möglich wäre das, denn Artikel 5 seines 14. Kapitels spricht wieder davon Gesetze zu verfassen. Er fast die Vermittlerrolle dieser Konvente also weiter als die Verfassung, weshalb er die entsprechenden Artikel wohl auch direkt hinter die Bestimmungen über Nationalversammlung und Exekutivrat stellt, während die Ausnahmefunktion der Konvente in der Verfassung logischerweise ohne direkten Zusammenhang weit hinter zwischen Kriegsmacht und Außenpolitik behandelt wird. Diese außerordentliche legislative Gewalt, gleich groß wie die Nationalversammlung und ebenfalls direkt gewählt, wird bei Saint-Just wie auch in der Verfassung laut Artikel drei des vierzehnten Kapitels, von der Nationalversammlung einberufen. Der entscheidende Unterschied zum Entwurf Saint-Justs besteht darin, daß in der Verfassung die Nationalkonvente mit den Machtmitteln der Legislative betraut werden, die gesetzgebende Versammlung also für die Dauer des Konvents ausgesetzt wird. Diese Abwandlung findet sich nicht im ersten Entwurf der Montagnard-Verfassung. Sie wird erst nach einer heftigen Debatte im Konvent, in der Robespierre erklärt, daß es unmöglich sei, zwei gesetzgebende Versammlungen gleichzeitig bestehen zu lassen und Hérault dem zustimmt, dekretiert. Auf den naheliegenden Einwand Ramel-Nogarets, daß einem Konvent, der gleichzeitig Legislative und Konvent sei, die Machtfülle zu Kopf steigen müsse, erwidert Robespierre intressanterweise mit einem Hinweis auf die Assemblée Nationale und den Konvent selbst, die gerade diejenigen seien, die die Revolution gemacht hätten (!). Hier wird jede Form von Veränderung ausschließlich positiv bewertet. Demnach wäre es möglich, daß Saint-Just sich zunächst in der Verfassungskomission gegen Hérault durchsetzen konnte und schließlich im Konvent, unter anderem am Widerstand Robespierres, scheiterte. Auch möchte Saint-Just die Dauer eines Konvents auf einen Monat beschränkt haben. In der Verfassungskomission scheint er sich damit nicht durchgesetzt zu haben, denn der erste Entwurf der Verfassung nennt keine zeitliche Beschränkung der Konvente. Daß es hier nicht um Außenseiterfragen geht, zeigt der Umstand, daß in Condorcets Entwurf eine entsprechende Bestimmung zu finden ist (allerdings darf der Konvent hier ein Jahr lang tagen) und auch in der Diskussion im Konvent von mehreren Abgeordneten eine Beschränkung der Dauer gefordert, dies aber nicht dekretiert wurde. Von der Zustimmung des Volkes ausdrücklich ausgenommen sind bei Saint-Just „unwesentliche gesetzgeberische Handlungen, die durch die Ereignissen und die öffentlichen Verwaltung erforderlich werden“. Auch hier wird Saint-Just also wenig konkret und seine Einschränkung findet sich auch nicht in der Verfassung wieder. Wenn man also davon ausgehen möchte, daß Saint-Just mit eigenen Ideen an der Konzeption der Nationalkonvente teilnahm, so muß man sagen, daß er in mehreren wichtigen Punkten scheiterte.
Landret formuliert lakonisch, daß die Nationalversammlung in Saint-Justs Entwurf „über Gesetze abstimmt, aber vor allem deren Anwendung überwacht“. Eine Gesetzgeberin als Gesetzeshüterin? Sind das nicht eigentlich die Aufgaben der Exekutive oder der Judikative? Mit den Augen des 20. Jahrhunderts gesehen ist diese Nationalversammlung, die die Verfassung nicht novellieren darf, beinahe lächerlich, sie entspricht jedoch genau der Vorgabe in „De la nature…“. Es ist nicht Sache des Volkes oder einer Volksvertretung, Gesetze zu erlassen. Dafür gibt es Gesetzgeber.
Da die Moral für Saint-Just naturgegeben ist, darf der Mensch sie nicht verderben, indem er sie durch eine vertragsmäßige Ordnung ersetzt. Dies entspricht den Ideen, die Boroumand am Beispiel Chabots erläutert. Die Weltordnung ist nicht die der Vernunft, sondern die der Natur. Staat und Gesellschaft, politische Ordnung und soziale Ordnung, sind in seiner Philosophie getrennt. „Das Recht, das der Mensch gegenüber dem Menschen hat ist die Natur oder die Unabhängigkeit,…“ schreibt Saint-Just „…das des Bürgers gegenüber dem Bürger der Besitz, das des Volkes gegenüber einem anderen Volk die Kraft.“ Der Mensch, eingebunden in die Zwänge des Naturrechts, lebt spontan für die Gemeinschaft, in deren Mitte er zu deren Verteidigung nach außen beiträgt. Dem entspricht auch die Konzeption des Rechts in „De la Nature…“: Jede volontaristische Grundlage des Rechts ist zu verwerfen. Das Recht kann nicht Ausdruck des allgemeinen Willen sein, sondern nur der Natur. Dem weisen, philosophischen Gesetzgeber kommt die Rolle zu, die Natur wiederzugeben.
Nun geht aber die Volksvertretung laut Artikel 1 seines ersten Kapitels aus dem allgemeinen Willen hervor und könnte somit gar nicht das Recht schaffen.
Zum einen wendet sich Saint-Just also gegen die Notwendigkeit von Gesetzen zur Regelung des gesellschaftlichen Zusammenlebens an sich, zum anderen akzeptiert er einen Gesellschaftsvertrag nur, wenn dieser auf der Grundlage der natürlichen Ordnung aufbaut und zum dritten legt er die Konstruktion des Gesellschaftsvertrags, der Verfassung, nicht in die Hände der durch den allgemeinen Willen bestimmten Volksvertretung, sondern in die eines unabhängigen Gesetzgebers, also in diesem Fall in seine eigenen. Diese sehr kritische Sichtweise hat Saint-Just während seiner Konventszeit abgemildert. Er erkannte nun die Notwendigkeit von Gesetzen um den durch die Monarchie verdorbenen Bürger zum Republikaner zu erziehen an und gestand ihnen auch zu, aus dem allgemeinen Willen hervorgehen zu können. Die republikanische Regierung solle ein perfektes Vorbild der republikanischen Moral sein. Dazu gehören für ihn mittelmäßige Beamte, denn aus der Mittelmäßigkeit der Regierenden entspringen die Sitten und die bürgerliche Freiheit. Allein der Gesetzgeber darf Überlegenheit zeigen, da er das Volk führen und dessen Interesse auf das Gemeinwohl lenken soll. Das Gesetz ist dabei das Mittel zur Transformation.
Wendet man diese Gedankengänge auf seinen Verfassungsentwurf an, so kommt man zu dem Schluß, daß er die Gesetzgebungskompetenzen aus dem einfachen Grund nicht näher definierte, weil dies im eigentlichen Sinne die Aufgabe des Gesetzgebers (oder der Kommunen) sei. Die Nationalversammlung soll sowieso so wenig Gesetze wie möglich formulieren, da sie aufgrund ihrer Legitimation und Zusammensetzung zur Formulierung von Recht und Gesetz eigentlich nicht befähigt ist. Ihre legislativen Akte müssen einer strengen Kontrolle durch die Kommunen unterworfen werden. Und allein die Verwaltungsgesetzgebung, also die Regelung innerhalb des Staatsapparats, die die Bürger nicht direkt betrifft, steht der Legislative wirklich frei zur Ausarbeitung. Scheinbar sah sich dieser Mann als Gesetzgeber, weil er zum Staatswesen keine Beziehung hatte und es allenfalls zur Aufrechterhaltung der äußeren Sicherheit ernst nahm. Hier erhascht man eine Ahnung von dem, was es heißt, ein Revolutionär zu sein.
Man versteht, daß von diesen Gedanken kaum etwas in der Verfassung verwirklicht wurde. Nun ist es interessant zu untersuchen, wie Saint-Just sich die Exekutive vorstellt.